Frank U. Kugelmeier – St.-Ursula-Gymnasium, Attendorn (auf Basis des "Politiklabors" von Ben Vermeulen, Andreas Pyka, Matthias Müller – Universität Hohenheim) |
Version 3 |
Auswahl |
|
|
Weltumspannende Seuchen wie die COVID-19-Pandemie stellen die politisch Verantwortlichen vor große Herausforderungen. Hierbei stehen existenzielle Fragen zur Diskussion: Ist es zum Beispiel sinnvoll, in der Hoffnung auf einen bald entwickelten Impfstoff sozusagen um jeden Preis die Verlangsamung der Infektionsraten zum obersten Ziel zu erklären - oder erscheint im Gegenteil eine Strategie der schnellen Durchseuchung zielführender, um auf diese Weise so bald wie möglich eine breite Immunisierung der Bevölkerung herzustellen? Auch jenseits dieser beiden Grundsatzpositionen stellen sich viele Fragen: Welche Maßnahmen sind - technisch und auch psychologisch gesehen - überhaupt geeignet, eine Verlangsamung der Infektionen zu fördern? Genügen freundliche Hinweise auf regelmäßiges Händewaschen, Maskenpflicht und Abstand-Halten? Oder muss die "soziale Distanzierung" der Menschen durch Einreiseverbote, Schul- bzw. Betriebsschließungen und/oder Ausgangssperren rigide durchgesetzt werden? Und wie hoch ist in diesem Fall der Preis für das komplette Herunterfahren der Wirtschaft? Liegt der Schaden hier möglicherweise über dem, der durch das Corona-Virus selbst angerichtet wird? - Umgekehrt: Wie viele Tote ist eine Gesellschaft bereit - im wahrsten Sinne des Wortes - in Kauf zu nehmen, nur um die Wirtschaft in Gang zu halten? Wer zählt letztlich mehr: der Mensch oder der Markt? Und wie will man mit den sozialen Unruhen umgehen, die sich aus einem Massensterben ergeben können? Hinzu kommen Fragen ganz praktischer Art: Ist das bestehende Gesundheitssystem überhaupt in der Lage, eine größere Zahl von COVID-Patienten aufzunehmen? Wie begegnet man den durch Schulschließungen verursachten Bildungsdefiziten? Und wie fängt man Menschen auf, denen durch Betriebsschließungen oder durch COVID-bedingte Erkrankungen die Lebensgrundlage entzogen worden ist? All diese Fragen stehen miteinander in komplexer Wechselwirkung. Das heißt jedoch nicht, dass sie nicht zu beantworten wären. Mit Hilfe moderner Computersimulationen kann man auch - und gerade - komplexe Systeme gut beschreiben; und aus den gewonnenen Daten lässt sich ein Gespür für die scheinbar unberechenbaren Entwicklungspfade dieser Systeme ausbilden. Hier kommt das vorliegende Pandemielabor ins Spiel. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Multi-Agenten-System: Auf einem Simulationsfeld bewegen sich viele kleine computergenerierte "Agenten", die mit verschiedenen "menschlichen" Eigenschaften ausgestattet sind und aus deren "Verhalten" man Rückschlüsse auf bestehende, reale Gesellschaften ziehen kann. Wie sich die Agenten verhalten, hängt von den Stellschrauben ab, an denen man in dem Programm drehen kann. Das Pandemielabor bietet mehr als sechzig solcher Stellschrauben und Schalter, die dazu dienen sollen, verschiedene politisch-ökonomische Maßnahmen und deren Auswirkungen (unter definiert unterschiedlichen Annahmen) virtuell zu testen, bevor man sie womöglich in der Realität an echten Menschen "testet". Das Pandemielabor-Szenario generiert zu diesem Zweck eine typische europäische Stadt mit den üblichen Aufenthaltsmöglichkeiten - Arbeits- und Freizeitstätten, Supermärkten, Schulen sowie Wohnvierteln. Die Bewohner der Stadt führen ein ganz normales Leben, das einem einfachen kalendarischen Rhythmus folgt. Morgens gehen die Erwachsenen zur Arbeit in ihre Büros und Fabriken, die Kinder gehen in die Schule, nachmittags zum Sport. In den Einkaufszentren nimmt der Betrieb in den Nachmittagsstunden ebenfalls stark zu. Am Wochenende werden die Geschäfte in größerem Umfang frequentiert; zudem trifft man sich hier in Freizeiteinrichtungen und auf Großveranstaltungen. An all diesen Orten finden in erheblichem Umfang soziale Interaktionen statt. Für ein Virus wie das hoch ansteckende Corona-Virus sind das ideale Ausbreitungsbedingungen. So lässt sich dann auch auf dem Bildschirm gut beobachten, wie sich nach und nach ein großer Prozentsatz der Menschen infiziert und teilweise schwer erkrankt oder gar verstirbt. Die Krankenhauskapazität der Stadt ist begrenzt, so dass die Sterbefälle mit dem Überschreiten der Kapazitätsgrenze zunehmen. Das Virus verschwindet nach einer gewissen Zeit zwar auch ohne ein Eingreifen, und die überlebenden Stadtbewohner haben eine Immunität entwickelt. Es sind dann jedoch viele Verstorbene zu beklagen. Um diese hohe Mortalität zu verhindern, kann in die beobachtete Entwicklung eingegriffen werden. So ist es möglich, die Gesundheitspolitik neu zu gestalten; Infizierte können in häusliche Quarantäne geschickt werden; mit gesundheitlicher Aufklärung lassen sich die Hygienebedingungen verbessern. Auch in die Bettenkapazität der Krankenhäuser lässt sich investieren. Sicherheitshalber können Betriebe und Schulen teilweise oder ganz geschlossen bleiben. Alle getroffenen Maßnahmen haben einen Einfluss auf die Anzahl der schweren Fälle und der Verstorbenen sowie auf die Länge und den Verlauf der Epidemie. Das Entscheidende ist in diesem Zusammenhang, dass sich sämtliche Maßnahmen in ihren Auswirkungen unmittelbar am Bildschirm ablesen und deshalb gegebenenfalls sogar noch während der laufenden Simulation korrigieren lassen. Auf diese Weise bildet das Pandemielabor ein effizientes sozialpolitisches Experimentalfeld zur (virtuellen) Bekämpfung von Seuchen wie der COVID-19-Pandemie. Sie sind nun herzlich eingeladen, sich als Politikerin bzw. Politiker oder auch als interessierter Laie im Pandemielabor der Herausforderung eines umfassenden Pandemiegeschehens zu stellen und - sei es planerisch, sei es durch Versuch und Irrtum - angemessene Lösungen zu entwickeln. Spielen Sie verschiedene politische Entscheidungen durch, ohne das Risiko massiver negativer Auswirkungen auf eine reale Bevölkerung tragen zu müssen. Scheuen Sie sich dabei auch nicht, die Simulation hin und wieder spielerisch "vor die Wand zu fahren". Denn dies kann dazu beitragen, im "echten" Leben unzweckmäßige Entscheidungen zu vermeiden und stattdessen zielführende Maßnahmen herauszuarbeiten. Und wenn Sie sich zunächst einmal grundsätzlich über die Dynamik pandemischer Verläufe informieren wollen, dann werfen Sie doch zuvor einen Blick in das hier ebenfalls angebotene MiniLab, eine "Pandemie-Simulation für Einsteiger". In diesem übersichtlichen Multi-Agenten-System können Sie die teils überraschenden pandemischen Entwicklungen auf besonders einfache Weise nachvollziehen - eine sinnvolle Vorbereitung auf die anschließende Arbeit mit dem komplexeren Pandemielabor. Ein weiteres Hilfsprogramm, der Pandemierechner PathoGen, bietet Ihnen zudem die Möglichkeit, die pandemische Entwicklung von COVID-19 mit der anderer viraler Krankheitserreger, etwa SARS-CoV-1, der Spanischen Grippe, Pocken und Masern, aber auch bakterieller Erreger wie der Beulenpest oder der Cholera zu vergleichen. So lernen Sie den Ausbruch von COVID-19 in die wechselvolle Pandemiegeschichte der Menschheit einzuordnen. Viel Erfolg! |
© Frank U. Kugelmeier, St.-Ursula-Gymnasium Attendorn 2022